Arnold Kirsch

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Prof. Dr. Arnold Kirsch.* 13. Januar 1922.✝︎ 14. Oktober 2013.
Universität Kassel.
Dissertation: Über Zerlegungsgleichheit von Funktionen und Integration in abstrakten Räumen.
Personen-ID im Mathematics Genealogy Project: 61882 


Kurzvita

  • Geboren 1922 in Sagan (Schlesien)
  • 1945 - 1950 Studium Gymnasiallehramt für Mathematik und Physik, Universität Göttingen; 1. Staatsexamen 1950
  • 1951 Studium Universität Bern, Promotion zum Dr. rer. nat. bei Prof. Hugo Hadwiger
  • 1951 - 1953 Referendariat in Hameln und Göttingen; 2. Staatsexamen 1953
  • 1953 - 1963 Studienrat an Gymnasien in Soltau und Göttingen
  • 1963 - 1966 Studienrat im Hochschuldienst bei Prof. Günter Pickert, Universität Gießen
  • 1966 - 1971 Professor für Mathematik und Mathematikdidaktik, Pädagogische Hochschule Göttingen
  • 1971 - 1987 Professor für Mathematik-Didaktik, Universität Kassel
  • 1987 Emeritierung

Arbeitsgebiete

Am 14.10.2013 ist der Kasseler Mathematikdidaktiker Prof. Dr. Arnold Kirsch gestorben. Wie nur wenige hat er seit den 1960er Jahren die mathematikdidaktische Diskussion in Deutschland geprägt und die Praxis des Mathematikunterrichts beeinflusst. Wer heutige Schulbücher aufschlägt, findet in jedem Werk Ideen, die direkt auf Arnold Kirsch zurückgehen und uns heute fast selbstverständlich erscheinen, sei es zum Thema Funktionen (z.B. bei der „Dreisatzrechnung“ oder bei den Exponentialfunktionen), zu den Zahlbereichen (z.B. bei den ganzen oder bei den reellen Zahlen) oder zur Analysis (z.B. beim Integralbegriff oder beim Hauptsatz). Im Folgenden soll sein Wirken noch einmal zusammenfassend gewürdigt werden.

Arnold Kirsch studierte Mathematik und Physik in Göttingen und in Bern, wo er 1951 bei H. Hadwiger promovierte. Nach dem Referendariat unterrichtete er von 1953 bis 1963 als Studienrat an Gymnasien in Soltau und in Göttingen. Bis 1966 war er als Studienrat i.H. bei G. Pickert an der Universität Gießen tätig, dann bis 1971 als Professor für Mathematik und Mathematikdidaktik an der PH Göttingen. 1971 folgte er einem Ruf an die – in jenem Jahr neu gegründete – Gesamthochschule (später Universität) Kassel, wo er bis zu seiner Emeritierung 1987 als Professor für Mathematik-Didaktik gearbeitet hat.

Zu den wichtigsten Arbeiten Arnold Kirschs gehören seine scharfsinnigen didaktisch orientierten mathematischen Sachanalysen, mit denen Lernenden und Lehrenden ein tiefer Einblick in mathematische Stoffinhalte verschafft werden soll. Dies ist der Kern dessen, was üblicherweise „Stoffdidaktik“ genannt wird. Dank Arnold Kirsch und Heinz Griesel, der zusammen mit Kirsch 1971 nach Kassel gekommen war, ließ diese Arbeitsrichtung die Kasseler Hochschule schon in den 70er Jahren zu einem allseits anerkannten Zentrum der Mathematik-Didaktik werden (die „Kasseler Schule der Mathematik-Didaktik“). Es ging Arnold Kirsch bei diesen stoffdidaktischen Arbeiten immer darum, natürliche Zugänge zu erschließen, Grundvorstellungen herauszuarbeiten und inhaltliches Argumentieren zu ermöglichen; kurz: Lernende und Lehrende sollten, so war immer sein Anspruch, Mathematik wirklich verstehen. So lautet auch programmatisch der Titel eines 1987 veröffentlichten Buchs von Kirsch (2. Auflage 1994). Insbesondere seine grundlegenden Analysen zu Proportionalitäten und Antiproportionalitäten (letzteres übrigens eine von ihm kreierte Bezeichnung), zu Wachstumsprozessen und Exponentialfunktionen sowie zu den natürlichen, ganzen, rationalen und reellen Zahlen haben Schulbücher, Lehrpläne und die Praxis des Mathematikunterrichts in allen Schulformen bis heute nachhaltig beeinflusst, ebenso wie seine zahlreichen Arbeiten zur Analysis, so zum Integralbegriff oder zum Hauptsatz.

In den meisten stoffdidaktischen Arbeiten Arnold Kirschs sind auch grundlegende allgemeine fachdidaktische Aspekte enthalten, teils implizit, teils explizit. Hier sind in erster Linie die „Aspekte des Vereinfachens im Mathematikunterricht“ zu nennen, die er in seinem Hauptvortrag 1976 in Karlsruhe auf der ICME-3 vorstellte. Mit diesem Vortrag ist Arnold Kirsch einer von bisher erst drei deutschen Mathematikdidaktikern, welche zu einem Hauptvortrag auf einem der ICME-Kongresse eingeladen waren. Beim Karlsruher Vortrag ging es um Möglichkeiten des Zugänglichmachens mathematischer Inhalte, was überhaupt die zentrale Fragestellung in Kirschs Werk darstellt. Weitere solche stoffübergreifenden Themen sind z. B. das präformale Beweisen oder das Modellieren.

Arnold Kirschs Hauptinteresse hat stets in erster Linie der intensiven Beschäftigung mit ihn fesselnden Problemen und deren ausgereiften Darstellung gegolten. Insofern war er sicherlich immer ebenso sehr Mathematiker wie Mathematikdidaktiker. Insbesondere zur Geometrie hat er neben fachdidaktischen auch mehrere vielbeachtete fachinhaltliche Arbeiten publiziert, u.a. über eine geometrische Charakterisierung des Differenzierbarkeitsbegriffs. Weiter hat er Arbeiten über lineare Ordnungen und Punktbewertungen veröffentlicht, die u.a. auch eine überraschende Anwendung in der Stochastik erfahren haben.

Neben dem Wissenschaftler war auch der Lehrer Arnold Kirsch immer beeindruckend, der hervorragende und anspruchsvolle Pädagoge, der sich sowohl in seinem Schulunterricht als auch in seinen Hochschulveranstaltungen stets engagiert darum gekümmert hat, dass seine Schülerinnen und Schüler bzw. seine Studentinnen und Studenten Mathematik wirklich verstehen können. Zur Lehrerbildung hat sich Arnold Kirsch auch konzeptionell mehrfach geäußert und dabei betont, wie wichtig die fachliche Souveränität der Lehrkräfte ist und dass Lehrer den intellektuellen Umgang mit Mathematik, den sie ihren Schülern nahe bringen sollen, zuvörderst selber so praktizieren müssen. Auch in seinen zahllosen Vorträgen haben immer die Prägnanz und Klarheit seiner Argumentation und sein Engagement für die Sache beeindruckt und die Zuhörer inhaltlich überzeugt. In diesen Zusammenhang gehört auch seine jahrzehntelange Mitarbeit beim Schulbuchwerk „Mathematik heute“. Hier sind viele Innovationen entstanden, die – zum Teil auch über andere Schulbücher, die Kirschs Ideen vielfach übernommen haben − dann unterrichtlich fruchtbar geworden sind; dies gilt vor allem für die Dreisatzrechnung (Klasse 7), die reellen Zahlen (Klasse 9), die Exponentialfunktionen (Klasse 10) und die Integralrechnung (Klasse 12). Die von Arnold Kirsch verantworteten Schulbuchkapitel waren immer und sind auch heute noch eine Fundgrube für geistreiche Stufengänge wie auch für substanzhaltige Aufgaben (die freilich, da sie teilweise ungewohnt und nicht schematisch zu lösen sind, von Lehrern oft als „zu schwer“ eingestuft werden). Die heute viel beschworene breite „Kompetenzorientierung“ hat sich in diesen Schulbuchkapiteln und den zugehörigen Aufgaben schon substantiiert, lange bevor dieses Wort Einzug in die didaktische Diskussion gehalten hat.

In der Wissenschaftsorganisation war Arnold Kirsch als Herausgeber wissenschaftlicher Zeitschriften (Mathematische Semesterberichte, Journal für Mathematik-Didaktik) und Bücher („blaue Reihe“ bei Vandenhoeck & Ruprecht) oder als Mitglied wissenschaftlicher Beiräte (u.a. bei ZDM, DIFF, GDM und IDM) tätig. Dieses Engagement ist neben dem wissenschaftlichen Werk einer der Gründe, weshalb die GDM sein Wirken 2011 mit der Ehrenmitgliedschaft gewürdigt hat.

Arnold Kirsch war bis ins hohe Alter hinein geistig frisch und trotz seiner durch einen Schlaganfall hervorgerufenen Einschränkungen immer auch körperlich aktiv mit täglichen Spaziergängen. Ein schwerer Sturz und die folgende Operation haben ihn nun zu sehr geschwächt. Seine Freunde, seine Kolleginnen und Kollegen wie auch seine ehemaligen Schülerinnen und Schüler in Schule und Hochschule denken gerne an die so überaus anregenden Gespräche mit ihm zurück, an seine ansteckende Begeisterung für Mathematik, an seine mit unübertroffener Klarheit dargelegten Gedanken zum Lernen von Mathematik. Alle, die Arnold Kirsch begegnen durften, werden sich dankbar an diese Begegnungen erinnern und ihm ein ehrendes Angedenken bewahren.

Veröffentlichungen

Bücher

  • [B1] Elementare Zahlen- und Größenbereiche. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1970, 250 Seiten.
  • [B2] (mit Friedrich Zech) Affine Geometrie der Ebene. Klett, Stuttgart 1972, 151 Seiten.
  • [B3] Mathematik wirklich verstehen. Eine Einführung in ihre Grundbegriffe und Denkweisen. Aulis, Köln 1987, 330 Seiten. Zweite, verbesserte Auflage 1994.

Aufsätze in Zeitschriften und Büchern

  • [A1] Über Zerlegungsgleichheit von Funktionen und Integration in abstrakten Räumen. Math. Annalen 124 (1952) 343-363.
  • [A2] (mit Hugo Hadwiger) Zerlegungsinvarianz des Integrals und absolute Integrierbarkeit. Portug. Mathematica 11 (1952) 57-67.

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Mitgliedschaften

  • Ehrenmitglied der GDM


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