Geschlechtersensibler Mathematikunterricht zum Umgang mit Heterogenität in der Sekundarstufe I (Promotionsprojekt)

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Geschlechtersensibler Mathematikunterricht zum Umgang mit Heterogenität in der Sekundarstufe I

Promotionsprojekt von Silke Fleckenstein, Universität Potsdam. Betreut von Ulrich Kortenkamp und Bettina Rösken-Winter.


Zusammenfassung

Ausgangslage

Der grundlegende grobe Gedankengang meiner Arbeit kann folgendermaßen skizziert werden: Es gibt unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse von Mädchen und Jungen beim Mathematiklernen, die in der Unterrichtsgestaltung Berücksichtigung finden könnten, was positive Auswirkungen haben könnte auf das mathematische Fähigkeitsselbstkonzept und darüber auf die Mathematikleistungen von Jungen und Mädchen.

grundlegende Gedanken

Dieser Gedankengang wird rückwärts und differenzierter betrachtet: Mädchen erbringen ab der Sekundarstufe weniger gute Mathematikleistungen als Jungen. (Prenzel et al. 2006, Baumert et al. 2000) Nicht zuletzt die großen Vergleichsstudien weisen auf signifikante Leistungsunterschiede zugunsten der Jungen hin (vgl. Prenzel et al. 2013). Nun könnte der Eindruck entstehen, dass ausschließlich die Mädchen besonderer Beachtung bedürfen wenn es um Lernerfolg mit all seinen Einflussfaktoren geht. Aber auch Jungen bedürfen der Aufmerksamkeit, denn - um einen Nachteil der Jungen anzuführen - sie erhalten bei gleicher Leistung wie die Mädchen weniger gute Noten, begründet wird dies mit dem Sozialverhalten der Jungen (Budde 2008).


Das Modell reziproker Effekte stellt heraus, dass gute Leistungen günstig auf das Fähigkeitsselbstkonzept wirken können, so wie ein günstiges Fähigkeitsselbstkonzept positiv auf die Leistungsfähigkeit wirken kann. (Marsh, O’Mara 2009) In meiner Arbeit beziehe ich mich auf das Self-Enhancement-Model, das ein positives Fähigkeitsselbstkonzept als Voraussetzung für eine gute Leistungsfähigkeit darstellt. (Helmke, Weinert 1997; Artelt et al. 2001, Schilling, Sparfeldt, Rost 2006). Das Fähigkeitsselbstkonzept ist entscheidend für ein motiviertes Lernverhalten. (Hasselhorn, Gold 2013)


Um die Lage der Bedürfnisse und Wünsche der Lernenden zu beschreiben beziehe ich mich im Wesentlichen auf die Dissertation "Sinnstiftender Mathematikunterricht für Mädchen und Jungen" von Sylvia Jahnke-Klein (2001). „Die Mehrheit der befragten Mädchen und ein Teil der Jungen wünschten sich ein gründliches Vorgehen im Unterricht ohne jeden Zeitdruck.“ Es werden sehr ausführliche Erklärungen und unendliches Nachfragendürfen gewünscht. Dies wird gestützt von der Aussage "viele der befragten Mädchen und einiger Jungen“, die sich sogenannte Haltegriffe im Unterricht wünschen. Gemeint sind Materialien zum zusätzlichen Üben auch zuhause, viele Kontrollmöglichkeiten und Schemata, Merksätze, Regeln. Gegenseitiges Erklären wird ebenfalls als Haltegriff verstanden und nachdrücklich gewünscht. Die Mädchen begründen ihre Wünsche mit ihrem Bedürfnis nach Sicherheit. Sie wollen „wirklich“ bzw. „richtig“ verstehen, keine Fehler machen und keine Überraschungen erleben. Dagegen stehen die Wünsche der Jungen. „Eine Teilgruppe der befragten Jungen“ wünschte sich weniger Monotonie und mehr Abwechslung u.a. durch weniger ausführliche Erklärungen, ein schnelleres Unterrichtstempo und anspruchsvollere Aufgaben. Die Jungen begründen ihren Wunsch mit Langeweile. Sie gaben an, sich zu langweilen, wenn sie glaubten, den Unterrichtsstoff verstanden zu haben und auch, wenn sie den Stoff nicht verstanden hatten. Dann würden sie gern zum nächsten Thema wechseln wollen, weil dort die Chance bestünde, wieder zu verstehen. Hinter allem steckt der Wunsch nach Herausforderung.


Das Bindeglied zwischen Wünschen und Bedürfnissen von Mädchen und Jungen und einem positiven Fähigkeitsselbstkonzept ist der Mathematikunterricht. Das Makro-Modell der Bedingungsfaktoren schulischer Leistungen von Helmke und Schrader (2010) zeigt auf, dass "Prozessmerkmale des Unterrichts" auf die "Persönlichkeit des Kindes: ... konstitutionelle Merkmale" wirken.

Makro-Modell der Bedingungsfaktoren schulischer Leistung

Forschungsfragen

  1. Welche Bedürfnisse der Mädchen und Jungen werden im monoedukativen Mathematikunterricht in der 7. Jahrgangsstufe geäußert? 

  2. Wie wird diesen von den Lehrkräften begegnet?
  3. Welche Handlungsempfehlungen lassen sich ableiten?

Studiendesign

Im Schuljahr 2013/14 organisierten vier Sekundarschulen in Sachsen-Anhalt ihren Mathematikunterricht in der siebten Jahrgangsstufe monoedukativ. Vier männliche und fünf weibliche Lehrkräfte unterrichteten 84 Mädchen und 94 Jungen in je vier Mädchen- und Jungenlerngruppen und einer gemischten Klasse. Die Lehrkräfte der monoedukativen Gruppen wechselten diese zum Halbjahr. Das Schaubild zeigt die Erhebungsinstrument und wann sie im Untersuchungszeitraum Juli 2013 bis Juli 2014 eingesetzt wurden:

Überblick zum Zeitplan der Untersuchung

Der Selbstkonzeptfragebogen erhebt quantitative Daten und ist standardisiert. (Rost, D. H., Sparfeldt, J., Schilling, S. R. 2007). Teilnehmend beobachtet mit Anfertigung eines Protokolls wurde bei jeder Lehrkraft pro Halbjahr mind. eine Unterrichtsstunde. Videografiert wurde pro Lehrkraft eine Stunde bei den Jungen und eine bei den Mädchen. Diesen beiden Stunden lag pro Lehrkraft die gleiche Unterrichtsplanung zugrunde. Es kamen drei Kameras zum Einsatz. Eine, die die Lehrkraft aufnahm und zwei in den beiden vorderen Ecken, um die gesamte Klasse filmen zu können. Das Lehrertreffen I fand statt, um Zwischenbilanz zu ziehen und die Unterrichtssequenz „Terme und Gleichungen“ gemeinsam vorzubereiten. Leider gelang dies nicht. Das Lehrertreffen II war Abschlussveranstaltung. Es wurden Daten zu den Teilnehmerschulen und den am Schulleben beteiligten Personen in Bezug auf das Projekt per Fragebogen zu sammeln. In Gruppeninterviews wurden die Lehrkräfte zum Verlauf des Projekts und ihren Einstellungen dazu befragt.

Erste Ergebnisse und weiteres Vorgehen

Es gibt kleine und mittlere Effektstärken der mittleren Selbstkonzeptwerte in einigen Halbjahreslerngruppen (fett gedruckt). Ich nehme an, dass in diesen Lerngruppen ein Unterricht gelaufen sein könnte, der den Wünschen und Bedürfnissen der Lernenden entgegengekommen ist. Also werde ich meine Videoanalyse mit den entsprechenden Unterrichtsaufnahmen beginnen.

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Die Videoauswertung wird unterstützt durch die Software Videograph und erfolgt nach einer Mischform aus deduktivem und induktiven Vorgehen. Das für den deduktiven Ansatz vorbereitete Kategoriensystem nimmt die Wünsche der Lernenden aus Sylvia Jahnke-Kleins Dissertation auf. Induktiv entstehen bei der Analyse eventuell neue Kategorien, weil Bedürfnisse von Jungen und Mädchen beobachtbar werden, die in Studien noch nicht erhoben wurden.

Die Dissertation wird voraussichtlich Ende 2016 publiziert.


Literatur

Die folgende Liste wird noch vervollständigt.

Artelt, C., Demmrich, A., Baumert, J. (2001). Selbstreguliertes Lernen.In: Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im Internationalen Vergleich. Opladen: Leske+Budrich

Baumert, J., Bos, W., Lehmann, R. (2000). TIMSS/III. Dritte Internationale Mathematik- und Naturwissenschaftsstudie. Mathematische und naturwissenschaftliche Bildung am Ende der Schullaufbahn. Band 2: Mathematische und physikalische Kompetenzen am Ende der gymnasialen Oberstufe. Opladen: Leske+Budrich

Budde, J. (2008). "Bildungs(miss)erfolge von Jungen und Berufswahlverhalten bei Jungen/männlichen Jugendlichen." Berlin: BMBF

Helmke, A., Weinert, F. E. (1997). "Bedingungsfaktoren schulische Leistung." In: Weinert, F. E. (Hrsg.): Enzyklopädie der Psychologie (Bd. 3 - Psychologie des Unterrichts und der Schule). Göttingen: Hogrefe

Jahnke-Klein, S. (2001). Sinnstiftender Mathematikunterricht für Mädchen und Jungen. Hohengehren: Schneider

Prenzel et al. (2006). "PISA 2003. Untersuchungen zur Kompetenzentwicklung im Verlauf eines Schuljahres," Münster, New York, 
München, Berlin: Waxmann

Schilling, S. R., Sparfeldt, J. R., Rost, D. H. (2006). Facetten schulischen Selbstkonzepts: Welchen Unterschied macht das Geschlecht? In: Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 20, 9 - 18.

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