Fundamentale Ideen der Angewandten Mathematik und ihre Umsetzung im Unterricht


Hans Humenberger (1993): Fundamentale Ideen der Angewandten Mathematik und ihre Umsetzung im Unterricht. Dissertation, Universität Wien.
Begutachtet durch Hans-Christian Reichel und Harald Rindler.

Zusammenfassung

In der Arbeit soll gezeigt werden, wie das Bruner'sche Konzept der "Fundamentalen Ideen" eines Fachgebietes auf die "Angewandte Mathematik" übertragen werden kann. Unseres Wissens stellt sie einen ersten Versuch dar, Fundamentale Ideen der Angewandten Mathematik als umfassendes Thema herauszuarbeiten (d.h., einen entsprechenden Katalog anzugeben) und diese anhand zahlreicher Beispiele zu illustrieren. Es wird auch dargestellt, wie und warum die angegebenen Ideen im Mathematikunterricht ihre u.E. gebührende Beachtung finden können bzw. sollen.

Zunächst wird in Kapitel 1 der Begriff der "Fundamentalen Idee" nach Bruner 1970 näher erläutert. Er stellte bekanntlich z.B. die Forderung auf, dass jeder Unterricht eines jeden Faches auf seinen jeweiligen Fundamentalen Ideen beruhen müsse, dass die renomiertesten Forscher aufgerufen seien, die Fundamentalen Ideen ihres eigenen Gebietes zu deklarieren, und dass sich der Unterricht an den verschiedenen Stufen (Grundschule bis Universität) nicht dem Prinzip, sondern nur dem Niveau nach unterscheiden dürfe. Der Unterricht müsse "spiralförmig" in jenem Sinn angeordnet werden, dass die einzelnen Fundamentalen Ideen auf einem jeweils höherem Niveau immer wieder thematisiert werden und der Lehrstoff dadurch "vertikal" strukturiert werde.

Im zweiten Abschnitt des ersten Kapitels wird eine Übersicht über die Versuche der letzten 20 Jahre gegeben, in einzelnen Bereichen der Mathematik (Lineare Algebra, Stochastik, Analysis etc.) nach "Ideen" bzw. "Fundamentalen Ideen" (nach Bruner 1970) zu suchen, ihren Sinn bzw. ihre Bedeutung herauszustreichen, m.a.W. das Prinzip der "Fundamentalen Ideen" in den jeweiligen Teilgebieten umzusetzen!

Im zweiten Kapitel wird dargelegt, was der Terminus "Angewandte Mathematik" für uns (persönlich, subjektiv!) überhaupt bedeutet. Wir verstehen unter Angewandter Mathematik nicht einen separaten Teil der Mathematik schlechthin, der von seinem "Gegenteil" - der "`Reinen Mathematik" - streng zu trennen wäre, sondern vielmehr eine prinzipielle Einstellung (Haltung) der Mathematik gegenüber, eine Sichtweise von ihr, die einen besonders wesentlichen Zweck der Mathematik darin sieht, unsere allgemeine Problemlösekompetenz entscheidend zu erweitern. Weiters wird herausgearbeitet, dass es für die beschriebene Art von Anwendungsorientierung gewisser Leitgedanken bzw. Fundamentaler Ideen bedarf, die wir (subjektiv!) mit

1) Modellbildungen, Sprache und Übersetzungsvorgänge, 2) Näherungen und Fehlerfortpflanzung, 3) Stochastik, 4) Optimieren, 5) Algorithmen, 6) Darstellen von Situationen unter mathematischer "Brille" - Heuristik und 7) Vernetzen mathematischer Sachverhalte - Projekte und Facharbeiten

angegeben haben. Diese "Hauptideen" werden eingehend behandelt und in weitere "Unterideen" gegliedert, um eine gewisse Systematik bzw. Hierarchisierung zu erreichen.

Der letzte Teil (VII) widmet sich der Idee der "Vernetzung" in all ihren Erscheinungsformen. Sie kann (soll!) zwischen Mathematik und außermathematischen Gebieten auftreten, zwischen einzelnen innermathematischen Gebieten, innerhalb von Aufgaben, die mehrere Lösungsmöglichkeiten besitzen oder zu deren Lösung mehr als ein Kalkül notwendig ist etc. Es wird weiters die Eigenständigkeit und Selbständigkeit der Schülerinnen und Schüler beim Arbeiten als besonders bedeutend für einen gewissen Erfolg und "Unterrichtsertrag" (z.B. Transfereffekt) ausgewiesen. An einem Spezifikum eines anwendungsorientierten Mathematikunterrichts - den "Projekten" und "Facharbeiten" - kann die Bedeutung von Vernetzung und Eigenständigkeit besonders deutlich gemacht werden - dies ist als vorgezogener, aber wesentlicher Teil dieser Dissertation besonders ausführlich geschehen in Humenberger/Hanisch/Reichel (1991): Fachbereichsarbeiten und Projekte im Mathematikunterricht. Hölder-Pichler-Tempsky, Wien.

Durch die Orientierung an den (nicht notwendigerweise genau diesen von uns vorgeschlagenen) Fundamentalen Ideen der Angewandten Mathematik - und zwar vom Beginn an - könnte der Unterricht, so glauben wir, interessanter und ertragreicher werden (insbesondere vielleicht ein besseres Verständnis erreicht werden), wodurch sich der Kreis der "nicht nur gelangweilten oder gezwungenen Zuhörer" vergrößern könnte und der Mathematik bzw. auch allen daran Beteiligten ein großer Dienst erwiesen würde. Eine erhöhte Chance, dass sich das Prinzip der (zumindest teilweisen) Orientierung des Unterrichts an Fundamentalen Ideen der Angewandten Mathematik durchsetzen könnte, sehen wir darin, dass der Unterricht dafür nicht völlig neu gestaltet, d.h. der Art und dem Inhalt nach nicht vollkommen revolutioniert werden muss - dies wäre z.B. bei der Durchsetzung der "`New Math"' notwendig gewesen - , vielmehr sind wesentliche Aspekte der genannten Ideen auch jetzt schon im Unterricht zahlreicher Lehrkräfte implizit vorhanden, es bedürfte oft nur eines Explizit-Machens, eines bewussteren und konsequenteren Umganges und vor allem einer anderen Schwerpunktsetzung!

Eine etwas überarbeitete Fassung der Dissertation ist erschienen unter: Humenberger, H. u. H.-C. Reichel (1995): Fundamentale Ideen der Angewandten Mathematik und ihre Umsetzung im Unterricht. BI-Verlag, Mannheim-Wien-Zürich.

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Kontext

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