Geschlechtersensibler Mathematikunterricht zum Umgang mit Heterogenität in der Sekundarstufe I (Promotionsprojekt)

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Geschlechtersensibler Mathematikunterricht zum Umgang mit Heterogenität in der Sekundarstufe I

Promotionsprojekt von Silke Fleckenstein, Universität Potsdam. Betreut von Ulrich Kortenkamp und Bettina Rösken-Winter.


Zusammenfassung

Unter den vielen unterrichtsrelevanten Heterogenitätsaspekten fokussiere ich in meinem Promotionsprojekt das soziale Geschlecht.

Obwohl Mädchen und Jungen die gleichen intellektuellen Fähigkeiten besitzen, differieren die Mathematikleistungen ab der Sekundarstufe deutlich (Budde, 2009). Die Verteilung der Lernenden auf die verschiedenen Kompetenzstufen in der PISA-Erhebung von 2012 zeigt, dass in Deutschland Jungen signifikant bessere Leistungen erbringen als Mädchen. Auf den unteren Kompetenzstufen sind Mädchen stärker vertreten als Jungen, ab Kompetenzstufe IV bis VI finden sich mehr Jungen (Prenzel u. a., 2013).

Es gibt Hinweise darauf, dass Mädchen und Jungen in der Sekundarstufe I unterschiedlich Mathematik lernen. Zudem äußern Mädchen und Jungen unterschiedliche Wünsche an ihren Mathematikunterricht, um erfolgreicher lernen zu können. Beispielsweise sind Jungen beim Lösen von Aufgaben tendenziell risikofreudiger und langweilen sich schneller; sie wünschen sich Herausforderung und Abwechslung. Mädchen hingegen scheinen sicherheitsbedürftiger beim Erlernen neuer Inhalte und wünschen sich mehr Zeit zum Bearbeiten von Aufgaben. Mehr Mädchen als Jungen wünschen sich zusätzliches Übungsmaterial, mehr Lösungskontrollen und Schemata, Merksätze und Regeln (Jahnke-Klein, 2001). Mädchen und Jungen wünschen sich gleichermaßen kooperative Lernformen (Benoelken, 2016). Beim Problemlösen scheinen Jungen erfolgreicher, wenn begriffliches oder numerisches Denken erforderlich ist. Mädchen scheinen besser, wenn verbales Denken erforderlich ist und entwickeln kreatives Denken ebenfalls besser bezogen auf verbales Material (Kasten, 2010). Jungen wirken durch ihre starke, nicht immer fachbezogene Unterrichtsbeteiligung kompetenter auf Lehrkräfte (Budde, 2008). Sie zeigen sich generell interessierter, motivierter und haben ein positiveres Selbstbild als Mädchen. (Budde, 2009; Prenzel u.a., 2006).

Diese Befunde wurden in koedukativen Settings erhoben. Interessant wäre es zu sehen, wie sich das Mathematiklernen in getrenntgeschlechtlichen Gruppen darstellt. Zeigen sich dort Unterschiede?

Für die Untersuchung in getrenntgeschlechtlichen Gruppen konnte ich vier Sekundarschulen in Sachsen-Anhalt gewinnen, die ihren Mathematikunterricht in der siebten Jahrgangsstufe für ein Schuljahr monoedukativ organisierten. Circa 180 Schülerinnen und Schüler und neun Lehrkräfte waren involviert, die Lehrkräfte unterrichteten ein Halbjahr die Mädchen und ein Halbjahr die Jungen.

Zunächst wollte ich die Entwicklung der Mathematikleistungen der Kinder im getrenntgeschlechtlichen Unterricht abbilden, um sehen zu können, ob die Geschlechtertrennung überhaupt positiv eingeschätzt werden kann. Ich habe mich dabei gegen die Erhebung von Schulnoten entschieden, weil ich diese weder schulintern noch zwischen unterschiedlichen Schulen für vergleichbar halte. Entschieden habe ich mich für die Erhebung der Entwicklung des mathematischen Selbstkonzepts der Schülerinnen und Schüler, denn Voraussetzung für eine gute Leistungsfähigkeit (Helmke & Weinert, 1997; Schilling, Sparfeldt & Rost, 2006) ist ein positives Fähigkeitsselbstkonzept. Es beschreibt die mentale Repräsentation der eigenen Person (Moeller, Trautwein 2011), also die Wahrnehmung und Einschätzung eigener Fähigkeiten (Hasselhorn & Gold 2013).

Zu drei Messzeitpunkten bearbeiteten die Schülerinnen und Schüler einen standardisierten Fragebogen „zur Erfassung des Selbstkonzepts schulischer Leistungen und Fähigkeiten“ (Rost, Sparfeldt & Schilling, 2007).

Da Signifikanztests bei kleinen Stichproben nicht aussagekräftig sind, habe ich die Entwicklung der mathematischen Selbstkonzepte mithilfe der stichprobenunabhängigen Effektstärke Cohens d dargestellt. Für acht Lerngruppen ließen sich kleine bis mittlere Effektstärken errechnen. Das bedeutet, dass sich das mathematische Selbstkonzept der untersuchten Kinder im monoedukativen Unterricht positiv entwickelt hat. Es lässt nicht den Schluss zu, dass das monoedukative Setting allein Grund für diese Entwicklung ist. Angenommen werden kann, dass der Mathematikunterricht in diesen acht Gruppen zu einer positiven Entwicklung des mathematischen Selbstkonzepts als Grundlage für die positive Entwicklung der Mathematikleistungen geführt hat und dass die fünf beteiligten Lehrkräfte einen entsprechend förderlichen Unterricht gestaltet haben.

Diese Annahme motivierte mich, die acht Lerngruppen und ihre Lehrkräfte genauer zu betrachten. Besonders interessant finde ich eine vergleichende Betrachtung von drei Mädchen- und drei Jungengruppen, die jeweils von der gleichen Lehrkraft unterrichtet wurden. Es gibt bereits Studien zu der methodisch-inhaltlichen Gestaltung von gendersensiblem Mathematikunterricht, sowie der gendersensiblen Gesprächsführung in fragend-entwickelnden Unterrichtsphasen und daraus resultierende Empfehlungen (Anina Mischau (2015) und Helga Jungwirth (2012)). Noch nicht untersucht ist die nonverbalen Kommunikation.

Die videografierten Unterrichtsstunden der drei Lehrkräfte mit kleinen und mittleren Effektstärken in beiden Geschlechtergruppen werden einer qualitativen Analyse unterzogen, um die verschiedenen Momente der nonverbalen Kommunikation herauszustellen, die ein erfolgreiches Mathematiklernen der Schülerinnen und Schüler unterstützen können. Diese Analyse ist gerade in Arbeit.


Literatur

  • Benoelken, R. (2016): Wünsche von Mädchen und Jungen zur Gestaltung des Mathematikunterrichts – Erste Ergebnisse einer qualitativen Studie. In H. Linneweber-Lammerskitten (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht 2016. Münster: WTM
  • Budde, J. (2009). Mathematikunterricht und Geschlecht: Empirische Ergebnisse und pädagogische Ansätze. In Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Referat Bildungsforschung in Bildung und Forschung (Hrsg.). Bildungsforschung Band 30. Bonn, Berlin.
  • Budde, J. (2008). Bildungs(miss)erfolge von Jungen und Berufswahlverhalten bei Jungen/männlichen Jugendlichen. In Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Referat Bildungsforschung in Bildung und Forschung (Hrsg.). Bildungsforschung Band 23. Bonn, Berlin.
  • Hasselhorn, M., Gold, A. (2013). Pädagogische Psychologie: Erfolgreiches Lernen und Lehren (3. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer
  • Helmke, A., Weinert, F.E. (1997). Bedingungsfaktoren schulischer Leistung. In F.E. Weinert (Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie. Bd. 3 – Psychologie des Unterrichts und der Schule. Göttngen: Hogrefe.


  • Jahnke-Klein, S. (2001). Sinnstiftender Mathematikunterricht für Mädchen und Jungen. Hohengehren: Schneider-Verlag.
  • Jungwirth, H. (2012). IMST Gender_Diversitäten Netzwerk (Hrsg.): Genderkompetenz im Mathematikunterricht. Fachdidaktische Anregungen für Lehrerinnen und Lehrer. Klagenfurt: Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung.
  • Kasten, H. (2010). Geschlechtsunterschiede. In D.H. Rost (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie. 4. Aufl. Weinheim, Basel: Beltz. 

  • Mischau, A., Bohnet, K. (2015): Mathematik „anders“ lehren und lernen.
  • Prenzel, M., Baumert, J., Blum, W., Lehmann, R., Leutner, D., Neubrand, M., ... Schiefele, U. (2006). PISA 2003: Untersuchungen zur Kompetenzentwicklung im Verlauf eines Schuljahres. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann. 

  • Prenzel, M., Sälzer, C., Klieme, E. & Köller, O. (Hrsg.) (2013). PISA 2012: Fortschritte und Hausforderungen in Deutschland. Münster: Waxmann.
  • Rost, D. H., Sparfeldt, J. R., & Schilling, S. R. (2007). Differentielles schulisches Selbstkonzept-Gitter mit Skala zur Erfassung des Selbstkonzepts schulischer Leistungen und Fähigkeiten (DISK-Gitter mit SKSLF-8). Göttingen: Hogrefe.
  • Schilling, S., Sparfeldt, J., Rost, D. (2006). Facetten schulischen Selbstkonzepts. Welchen Unterschied macht das Geschlecht. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 20 (2), 9 -18


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