Ulrich Kortenkamp (1999): Foundations of Dynamic Geometry. Dissertation, ETH Zürich.
Betreut durch Jürgen Richter-Gebert .
Begutachtet durch Jürgen Richter-Gebert und Günter M. Ziegler.
Erhältlich unter http://kortenkamps.net/papers/1999/diss.pdf

Zusammenfassung

Diese Arbeit behandelt die mathematischen, informationstechnischen und didaktischen Grundlagen der Dynamischen Geometrie.

Bisher gab es kein Computerprogramm, welches die dynamische Manipulation von zweidimensionalen Konstruktionen mathematisch zufriedenstellend gelöst hätte. Die Umsetzung des Poncelet’schen Kontinuitätsprinzips ist nur in der reinen Mathematik gelungen: der Grundsatz, dass mathematische Eigenschaften auch dann erhalten bleiben müssen, wenn sie nicht sichtbar sind, blieb auf der Strecke, obwohl er in der Geometrie geboren wurde.Es geht gar so weit, dass die Gültigkeitsbereiche von Konstruktionen untersucht werden, die aber eben nicht durch die Mathematik vorgegeben werden, sondern durch die jeweils eingesetzte Software.

In dieser Arbeit wird versucht, die Mathematik und die Informatik wieder ein Stück näher zusammen zu bringen. Im ersten, mathematischen Teil, wird anhand von konkreten Beispielen untersucht, woher die merkwürdigen, unerwarteten Effekte in Geometrieprogrammen kommen, wieso manchmal – scheinbar unmotiviert – Elemente verschwinden oder über große Entfernungen springen. Es wird die Grenze gesucht zwischen trivialer Implementation und den echten mathematischen Herausforderungen: Welche Konstruktionen erzeugen die Probleme? Was ist noch einfach?

Zunächst muss dafür ein formaler Rahmen für Dynamische Geometrie definiert werden, innerhalb dessen klar formuliert werden kann, welche Eigenschaften ein Geometriesystem hat. An Punkten und Geraden wird gezeigt, wie mit homogenen Koordinaten, Projektiver Geometrie und Cayley-Klein Geometrien ein in sich geschlossenes System gebildet wird, welches sowohl deterministisch ist als auch kontinuierliches Verhalten zeigt. Zudem können Inzidenzsätze innerhalb dieses Systems einfach mit Methoden der Randomisierung bewiesen werden.

Dann wird der Versuch gestartet, auch Kreise (oder Kegelschnitte) in das System einzugliedern. Eine Hauptaussage wird sein, dass wir dann nicht erwarten können, ein deterministisches und kontinuierliches System zu erhalten. Die Frage, ob es überhaupt möglich sei, kontinuierliches Verhalten zu erzeugen, – schon allein dadurch berechtigt, dass es bislang keine Geometriesoftware gab, die dieses zeigte – kann dann aber schließlich positiv beantwortet werden.

Der Weg zu einem kontinuierlichen System führt wieder zu den Methoden, die sich aus der Geometrie hinaus gebildet haben, und die Lösung des Kontinuitätsproblems der Dynamischen Geometrie liegt in der Zuordnung geeigneter Riemannscher Flächen zu den Konstruktionselementen.

Die konkrete Anwendung der Theorie komplexer Funktionen erfordert aber auch eine Umsetzung auf rechnerischer Ebene. Diese wird im zweiten Teil der Arbeit behandelt. Einige der Implementations-Details wie sie der Geometriesoftware Cinderella zugrunde liegen werden vorgestellt, und auf die Unterschiede und neuen Probleme im Gegensatz zu “klassischen” Geometrieprogrammen hingewiesen. Zusätzlich wird darauf eingegangen, wie die neuen Möglichkeiten des weltumspannenden Internets durch den Einsatz der Sprache Java genutzt werden können, welche Probleme dabei auftreten, und wie sie gelöst werden können.

Im dritten Teil der Arbeit wird darauf eingegangen, wieso selbst für schulmathematische Zwecke ein derart komplexes mathematisches Fundament von Nöten ist. DieNotwendigkeit der korrekten mathematischen Behandlung von Geometrie auf dem Rechner sowie der flexiblen, modularen und möglichst allgemeinen Programmierung wird am Beispiel des kreativitätsbildenden Einsatzes des Computers im Mathematikunterricht diskutiert. Als konkretes neues Einsatzgebiet dynamischer Geometriesoftware kann, basierend auf den mathematischen Methoden des ersten Teils und der Anbindung an das Internet, die im zweiten Teil beschrieben wurde, die Erstellung interaktiver Geometrie-Arbeitsblätter genannt werden. Diese können von Schülern und Studenten online bearbeitet werden, und das Programm gibt selbstständig Hilfestellungen und überprüft die Lösung. Dabei wird der Lösungsweg nicht starr vorgeschrieben, sondern kann durchaus von der vorgegeben Musterlösung abweichen. Ohne den im mathematischen Teil eingeführten Begriff des geometrischen Satzes wäre dieses automatische Überprüfen von Lösungsvorschlägen gar nicht möglich, es wäre noch nicht einmal klar, was es überhaupt heisst, dass eine Konstruktion das korrekte Ergebnis liefert.

Ausserhalb der zweidimensionalen computergestützten Geometrie gibt es noch weitere Anwendungsfelder, beispielsweise parametrisches CAD, computergestütze Kinematik oder auch das ganze Gebiet der “virtual reality,” die mit dem gleichen oder ähnlichen Methoden bearbeitet werden können. Diesen Anwendungen widmet sich der letzte Teil, in dem auch offene und weiterführende Fragen angesprochen werden.

Auszeichnungen

Medaille der ETH Zürich 2000.

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