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Bildungsverständnis von Wittenberg
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Das macht erneut die in der [[#zweifache Positionierung|Übersicht]] erwähnte „zweifache Positionierung“ des Mathematikunterrichts in Bezug auf Allgemeinbildung deutlich.
 
Das macht erneut die in der [[#zweifache Positionierung|Übersicht]] erwähnte „zweifache Positionierung“ des Mathematikunterrichts in Bezug auf Allgemeinbildung deutlich.
 
===Alexander Israel Wittenberg===
 
===Alexander Israel Wittenberg===
''(folgt später)''
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Das Buch „''Bildung und Mathematik: Mathematik als exemplarisches Gymnasialfach''“ des zuletzt in Toronto lebenden Mathematikers Alexander Israel Wittenberg (1926 – 1965) erschien erstmals 1963 bei Birkhäuser und dann 1990 in zweiter Auflage bei Klett. Hans-Joachim [[Hans-Joachim_Vollrath|Vollrath]] schreibt im Vorwort zu dieser zweiten Auflage u. a.:<br />
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::Als Alexander Israel Wittenberg zu Beginn der sechziger Jahre dieses Buch schrieb, war das Gymnasium als Institution äußerlich bedroht durch die weltweit propagierte Einrichtung von Gesamtschulen. Zugleich war damals der Mathematikunterricht Gegenstand intensiver Reformbestrebungen, in denen es unter dem Schlagwort einer Modernisierung vor allem darum ging, die Ideen der Strukturmathematik in den Unterricht einzubeziehen.
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::Wittenberg begründet den Bildungsauftrag des Gymnasiums in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft und zeigt am Beispiel der Geometrie, wie der Mathematikunterricht die Idee der gymnasialen Bildung verwirklichen kann. Indem er deutlich macht, wie weit die Schulwirklichkeit von der Idee entfernt ist, will er aufrütteln und zugleich Auswege aufweisen. Wie er in seinem Vorwort schreibt, bietet er sein Buch auf dem „Marktplatz der Ideen“ an, auf dem es sich durch die Kraft seiner Argumente bewähren soll. <ref>[Wittenberg 1990, V]</ref>
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Wittenberg selber beklagt eingangs, dass die damaligen internationalen Bildungsreformen von der OECD unterstützt würden, also einer „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit“ (einer auch heute u. a. im Zusammenhang mit PISA präsenten Situation):
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::In Europa geht eine einflussreiche Entwicklung von einer von der O.E.C.D. organisierten Tagung aus, von der im folgenden noch die Rede sein wird. Der Einfluß rührt nicht zuletzt davon her, daß die O.E.C.D. Reformbestrebungen unterstützt, ''wenn diese den von der Tagung aufgestellten Empfehlungen entsprechen''. Wie einseitig die Teilnehmer jener Tagung […] ausgelesen waren, ist daraus ersichtlich, daß der Tagungsbericht, ''New Thinking in School Mathematics'', im zusammenfassenden Schlußkapitel zu gleicher Zeit feststellen konnte: „Die Vorschläge … sind revolutionärer Art“ (was ohne Zweifel zutrifft), und: „Der Bericht zeigt große Einstimmigkeit betreffs der hauptsächlichen Vorschläge unter den Delegierten aus 17 Ländern.“ – Es überrascht kaum, daß die ganz anders gerichteten „revolutionären“ Vorschläge und Stellungnahmen eines Martin WAGENSCHEIN – die, wie immer man sich zu ihnen stellen mag, jedenfalls zum Gewichtigsten gehören, was in den letzten Jahren über diese Fragen gedacht wurde – in keiner Zeile des Berichts erwogen werden. <ref>[Wittenberg 1990, XII]</ref>
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Als ein wesentliches Bildungsanliegen Wittenbergs kann sein Plädoyer für eine „gültige Begegnung mit der Mathematik“ im Unterricht angesehen werden: 
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::Im Unterricht muß sich für den Schüler eine gültige Begegnung mit der Mathematik, mit deren Tragweite, mit deren Beziehungsreichtum, vollziehen; es muß ihm am Elementaren ein echtes Erlebnis dieser Wissenschaft erschlossen werden. Der Unterricht muß dem gerecht werden, was Mathematik wirklich ist. <ref>[Wittenberg 1990, 50 f.]</ref><br />
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So sollen die Schülerinnen und Schüler Mathematik als „Welt sui generis“ <ref>[Wittenberg 1990, 46]</ref> bzw. „Wirklichkeit sui generis“ <ref>[Wittenberg 1990, 47] und [Wittenberg 1990, 51]</ref> erfahren, also als „Welt eigener Art“ bzw. „Wirklichkeit eigener Art“.<br />
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Wittenbergs Sichtweise von „Mathematik als Wirklichkeit sui generis“ und die aktuell in der Mathematikdidaktik anzutreffende Forderung nach einem „realitätsbezogenen Mathematikunterricht“ meinen nicht „Wirklichkeiten“ gleicher Art: Wittenberg beschreibt (mit Blick auf den Mathematikunterricht) nur „deskriptiv“, wie sich für ihn die Mathematik zeigt; beim „realitätsbezogenen Mathematikunterricht“ wird jedoch „normativ“ beschrieben, wie Mathematikunterricht sein soll.
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===[[Hans Werner Heymann]]: acht Thesen===
 
===[[Hans Werner Heymann]]: acht Thesen===
 
'''Heymann''' entwickelt in seiner Habilitationsschrift <ref>[Heymann 1996]</ref> mit Bezug auf die bis dahin vorliegenden bedeutenden [[Bildung|Bildungstheorien]] ein eigenes umfassendes [[Didaktische Modelle und Konzepte|Konzept]] zur Positionierung des Mathematikunterrichts im Rahmen von Allgemeinbildung (ganz im Sinne von [[Allgemeinbildung#Wolfgang Kramp|Wolfgang '''Kramp''']]). Nachfolgend werden dazu zusammenfassende Thesen von ihm in seiner eigenen Formulierung wiedergegeben. <ref>[Heymann 1995]</ref>
 
'''Heymann''' entwickelt in seiner Habilitationsschrift <ref>[Heymann 1996]</ref> mit Bezug auf die bis dahin vorliegenden bedeutenden [[Bildung|Bildungstheorien]] ein eigenes umfassendes [[Didaktische Modelle und Konzepte|Konzept]] zur Positionierung des Mathematikunterrichts im Rahmen von Allgemeinbildung (ganz im Sinne von [[Allgemeinbildung#Wolfgang Kramp|Wolfgang '''Kramp''']]). Nachfolgend werden dazu zusammenfassende Thesen von ihm in seiner eigenen Formulierung wiedergegeben. <ref>[Heymann 1995]</ref>
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:# Zwischen gesellschaftlicher und subjektiv empfundener Bedeutsamkeit der Mathematik klafft eine Lücke: Einerseits ist Mathematik ein wesentliches Moment unserer Kultur, und unsere Zivilisation ist ohne Mathematik nicht denkbar. Vielen Heranwachsenden bleibt jedoch dunkel, weshalb es sinnvoll ist, sich über die gesamte Schulzeit hinweg mit diesem Fach zu beschäftigen.  
 
:# Zwischen gesellschaftlicher und subjektiv empfundener Bedeutsamkeit der Mathematik klafft eine Lücke: Einerseits ist Mathematik ein wesentliches Moment unserer Kultur, und unsere Zivilisation ist ohne Mathematik nicht denkbar. Vielen Heranwachsenden bleibt jedoch dunkel, weshalb es sinnvoll ist, sich über die gesamte Schulzeit hinweg mit diesem Fach zu beschäftigen.  
 
:# Wie jedes andere Fach an allgemeinbildenden Schulen muß sich der Mathematikunterricht fragen lassen, was er zur Allgemeinbildung der Schülerinnen und Schüler beiträgt. Aus einem Allgemeinbildungskonzept läßt sich zwar nicht deduzieren, wie ein der Allgemeinbildung verpflichteter Fachunterricht im Detail auszusehen hätte. Aber Allgemeinbildungskonzepte können Kriterien liefern, anhand derer sich Unterricht beurteilen und gestalten läßt. Im Wechselspiel mit einschlägigen fachlichen und fachdidaktischen Überlegungen sollte sich mittels eines hinlänglich ausgearbeiteten Allgemeinbildungskonzepts konkretisieren lassen, welche Reform-Akzente für einen „allgemeinbildenden Unterricht“ in dem betreffenden Fach sinnvoll sind.  
 
:# Wie jedes andere Fach an allgemeinbildenden Schulen muß sich der Mathematikunterricht fragen lassen, was er zur Allgemeinbildung der Schülerinnen und Schüler beiträgt. Aus einem Allgemeinbildungskonzept läßt sich zwar nicht deduzieren, wie ein der Allgemeinbildung verpflichteter Fachunterricht im Detail auszusehen hätte. Aber Allgemeinbildungskonzepte können Kriterien liefern, anhand derer sich Unterricht beurteilen und gestalten läßt. Im Wechselspiel mit einschlägigen fachlichen und fachdidaktischen Überlegungen sollte sich mittels eines hinlänglich ausgearbeiteten Allgemeinbildungskonzepts konkretisieren lassen, welche Reform-Akzente für einen „allgemeinbildenden Unterricht“ in dem betreffenden Fach sinnvoll sind.  
:# Das von mir zugrunde gelegte Allgemeinbildungskonzept fußt auf der Herausarbeitung zentraler Aufgaben allgemeinbildender Schulen in unserer Gesellschaft, die ich in folgendem Katalog zusammengestellt habe: Lebensvorbereitung, Stiftung kultureller Kohärenz, Weltorientierung, Anleitung zum kritischen Vernunftgebrauch, Entfaltung von Verantwortungsbereitschaft, Einübung in Verständigung und Kooperation, Stärkung des Schüler-lchs. Die nachfolgenden Thesen zum Mathematikunterricht orientieren sich an diesen Aufgaben.  
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:# Das von mir zugrunde gelegte Allgemeinbildungskonzept fußt auf der Herausarbeitung zentraler Aufgaben allgemeinbildender Schulen in unserer Gesellschaft, die ich in folgendem Katalog zusammengestellt habe: Lebensvorbereitung, Stiftung kultureller Kohärenz, Weltorientierung, Anleitung zum kritischen Vernunftgebrauch, Entfaltung von Verantwortungsbereitschaft, Einübung in Verständigung und Kooperation, Stärkung des Schüler-Ichs. Die nachfolgenden Thesen zum Mathematikunterricht orientieren sich an diesen Aufgaben.  
 
:# '''Lebensvorbereitung''': Die durch den Mathematikunterricht geleistete Lebensvorbereitung im unmittelbar pragmatischen Sinne wird sowohl über- als auch unterschätzt. Einerseits verwenden die meisten Erwachsenen in ihrem beruflichen und privaten Alltag nur selten Mathematik, die über die Stoffe von Klasse 7 hinausgeht. Andererseits werden viele „weichere“, für den Alltag wichtige Qualifikationen im herkömmlichen Mathematikunterricht vernachlässigt: Lebensnützliche mathematische Alltagsaktivitäten wie Schätzen, Überschlagen, Interpretieren und Darstellen sowie die verständige Handhabung technischer Hilfsmittel wie Taschenrechner und Computer sollten im Mathematikunterricht aller Stufen, bei steigendem Anspruchsniveau, häufiger und intensiver thematisiert, mathematisch reflektiert und geübt werden.  
 
:# '''Lebensvorbereitung''': Die durch den Mathematikunterricht geleistete Lebensvorbereitung im unmittelbar pragmatischen Sinne wird sowohl über- als auch unterschätzt. Einerseits verwenden die meisten Erwachsenen in ihrem beruflichen und privaten Alltag nur selten Mathematik, die über die Stoffe von Klasse 7 hinausgeht. Andererseits werden viele „weichere“, für den Alltag wichtige Qualifikationen im herkömmlichen Mathematikunterricht vernachlässigt: Lebensnützliche mathematische Alltagsaktivitäten wie Schätzen, Überschlagen, Interpretieren und Darstellen sowie die verständige Handhabung technischer Hilfsmittel wie Taschenrechner und Computer sollten im Mathematikunterricht aller Stufen, bei steigendem Anspruchsniveau, häufiger und intensiver thematisiert, mathematisch reflektiert und geübt werden.  
 
:# '''Stiftung kultureller Kohärenz''': Neben der Tradierung von Mathematik als Kulturgut hat der Mathematikunterricht die Aufgabe, der häufig beschriebenen kulturellen Isolierung der Mathematik entgegenzuwirken. Schüler sollten Mathematik – jenseits des elementaren und lebensnotwendigen Bereichs – exemplarisch als eine Art des Denkens und Problemlösens von universeller Wirksamkeit erfahren können. Der Mathematikunterricht sollte sich deutlicher an zentralen Ideen orientieren, in deren Licht die Verbindung von Mathematik und außermathematischer Kultur deutlich wird, z. B. der Idee der Zahl, des Messens, des funktionalen Zusammenhangs, des räumlichen Strukturierens, des Algorithmus, des mathematischen Modellierens.  
 
:# '''Stiftung kultureller Kohärenz''': Neben der Tradierung von Mathematik als Kulturgut hat der Mathematikunterricht die Aufgabe, der häufig beschriebenen kulturellen Isolierung der Mathematik entgegenzuwirken. Schüler sollten Mathematik – jenseits des elementaren und lebensnotwendigen Bereichs – exemplarisch als eine Art des Denkens und Problemlösens von universeller Wirksamkeit erfahren können. Der Mathematikunterricht sollte sich deutlicher an zentralen Ideen orientieren, in deren Licht die Verbindung von Mathematik und außermathematischer Kultur deutlich wird, z. B. der Idee der Zahl, des Messens, des funktionalen Zusammenhangs, des räumlichen Strukturierens, des Algorithmus, des mathematischen Modellierens.