Funktion: mengentheoretische Auffassung

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Verfasst von Horst Hischer

Übersicht

Die Untersuchung der kulturhistorischen Entstehung und Entwicklung des Funktionsbegriffs zeigt, wie sich aus ersten Ansätzen bei babylonischen Tabellen, bei der Erfindung von Notentexten, bei der Untersuchung und Darstellung zeitabhängigen Größen, bei freihändig gezeichneten „Kurven“, bei „analytischen Ausdrücken“ (als Termen) und bei graphischen und tabellarischen Darstellungen empirisch gewonnener Daten im 19. Jh. ein „termfreier“ Funktionsbegriff als „eindeutige Zuordnung“ entwickelt hat, der schließlich Anfang des 20. Jhs. auf der Grundlage der zuvor durch Georg Cantor begründeten Mengenlehre unter Bezug auf „geordnete Paare“ seine formal strenge und saubere Fassung als spezielle Relation erhalten hat. [1]

Grundlegende Definitionen

Unter Bezug auf den mit „binäre Relation“ bezeichneten Begriff lässt sich „Funktion“ knapp und elegant definieren, wobei hier statt „binäre Relation“ kurz „Relation“ gesagt wird: [2]

Definition Anmerkungen
Funktion“ ist eine Kurzbezeichnung für „rechtseindeutige Relation“.

• „Abbildung“ ist meist ein Synonym für „Funktion“.
• „Operatoren“ sind ebenfalls Funktionen, wenn auch in speziellen Themenbereichen.

Die Schreib- bzw. Sprechweisen „  ist eine Funktion“ und „  ist eine rechtseindeutige Relation“ sind also gemäß dieser Definition gleichbedeutend. Ihr liegt Folgendes zugrunde:

 
Pfeildiagramme von zwei Relationen:
links: die Relation ist nicht rechtseindeutig;
rechts: die Relation ist rechtseindeutig, sie zeigt eine
Funktion“ als rechtseindeutige Relation.
Nur die Relation rechts ist auch linkseindeutig.
vorausgehende Definitionen Erläuterungen
Voraussetzung: Es sei   eine (binäre) Relation,  . Dann gilt:   ist also eine Menge von geordneten Paaren, z. B.  
mit der nicht leeren „Ausgangsmenge“   und der nicht leeren „Zielmenge“  .

(Man kann ggf. auch „leere Relationen“ und damit auch „leere Funktionen“ betrachten.)

(1)   ist genau dann rechtseindeutig, wenn für alle   gilt:
aus   folgt stets  .
Jedem Element aus der Ausgangsmenge   wird höchstens ein Element aus der Zielmenge   zugeordnet.

Oder: Die Zuordnung verläuft von links nach rechts eindeutig.

(2)   ist genau dann linkseindeutig, wenn für alle   gilt:
aus   folgt stets  .
Jedes Element aus der Zielmenge   ist höchstens einem Element aus der Ausgangsmenge   zugeordnet.

Oder: Die inverse Zuordnung verläuft von rechts nach links eindeutig.

(3)   ist genau dann injektiv, wenn   sowohl rechtseindeutig als auch linkseindeutig ist. Die Zuordnung verläuft in beiden Richtungen eindeutig.

Gleichbedeutend mit „injektiv“ ist „eineindeutig“.

Weitergehende Definitionen und Bezeichnungen

übliche Bezeichnungen bzw. symbolische Darstellungen Erläuterungen
  sei eine (nicht leere) Funktion und   mit nicht leeren Mengen   und  . (generelle Voraussetzung für das Folgende)
Es sei   und  . Falls von   ein (und damit genau ein) Zuordnungspfeil nach   verläuft, dann wird notiert::   gelesen: „dem   wird das   zugeordnet“

oder: „das   wird dem   zugeordnet“
oder: „aus   wird  “,
aber nicht : „  wird zugeordnet  “ (weil dann nicht klar ist, wer wem zugeordnet wird).

Es sei   und  . Falls   bezüglich der Funktion   gilt, dann ist::     heißt dann Funktionswert von „  bezüglich  , gelesen: „f von x“.

  muss nicht als Term darstellbar sein. [3]

  es gibt ein   mit   Definitionsmenge von  , auch „Definitionsbereich“, es ist  .

  ist Argument von  .

  es gibt ein   mit   Wertemenge von  , auch „Wertebereich“, es ist  .
Falls  , dann wird notiert::   gelesen: „  ist eine Funktion von   in  “.

Die Zuordnungspfeile   und   sind streng zu unterscheiden, denn z. B. gilt:
  bedeutet: Dem Element   wird das Element   oder   zugeordndet.
  bedeutet: Der Menge   wird die Menge   zugeordnet.

Falls   und  , dann heißt   surjektiv. Man sagt dann: „  ist eine Funktion von   auf  
Falls   surjektiv und injektiv ist, dann heißt   bijektiv.   ist dann eine Bijektion.
Eine beliebige Bijektion einer Menge   auf sich selber ist eine Transformation von  . Automorphismen (z. B. in Algebra und Geometrie) sind stets strukturerhaltende Transformattonen.
Eine beliebige Transformation einer endlichen Menge   ist eine Permutation . Umordnungen der Elemente einer endlichen Menge sind stets Permutationen.
    heißt Graph von   (oder einfach Funktionsgraph). Es gilt  

Didaktische Vertiefung

Funktionsdefinition

  • Ein wesentlicher Aspekt beim Funktionsbegriff ist die eindeutige Zuordnung, die mit „rechtseindeutig“ erfasst werden kann, ohne schon   es gibt ein   mit   mit voraussetzen zu müssen.
  • Wenn die Ausgangsmenge mit dem Definitionsbereich übereinstimmt, wenn also   es gibt ein   mit   gilt, wird jedem Element der Ausgangsmenge genau ein Element der Zielmenge zugeordnet, so dass also   gilt. Es bietet sich für den Mathematikunterricht an, mit dieser engeren Sichtweise zu beginnen (und ggf. dabei zu bleiben).
  • Der Aspekt der eindeutigen Zuordnung liegt in zweispaltigen Tabellen automatisch vor, wenn sich in der „Eingangspalte“ (links) kein Element wiederholt. Damit kann eine „Funktion“ alternativ von Anbeginn an auch mit einer solchen Tabelle identifiziert werden, dieses in Übereinstimmung mit der Auffassung der Numeriker und ganz in der kulturhistorischen Tradition der Mathematik von den Babyloniern bis Du Bois-Reymond (s. o).
  • Die symbolische Darstellung „ “ ist eine Aussage (bzw. Eigenschaft) und bedeutet definitionsgemäß und ist so zu lesen: „  ist eine Funktion von   in  “. Damit ist es sprachlich nicht korrekt,   eine „Funktion“ zu nennen, sondern korrekt wäre z. B. entweder „die Funktion   von   in  “ oder „die Funktion   mit der Eigenschaft  “.
  • Es ist zu beachten, dass bei Funktionen der mit dem Symbol   bezeichnete „Funktionswert“ (ganz im Sinne der kulturhistorischen Tradition) nicht notwendig ein Term sein muss, so dass man hier besser nicht immer von einem „Funktionsterm“ sprechen sollte. Ganz anders ist die Situation bin Funktionenplottern, die nur die Darstellung termdefinierter Funktionen ermöglichen können.
  • Offensichtlich kann man nicht termdefinierbare Funktionen mit endlichem Definitionsbereich durch eine Tabelle darstellen. Aber das ist auch bei nicht endlichem Definitionsbereich möglich, wie etwa folgendes Beispiel zeigt: Es sei   für alle natürlichen Zahlen   die  -te Dezimalstelle von  , also  ,  ,   ..., dann lässt sich dies mit einer (gedachten!) unendlichen Tabelle erfassen.
  • Nur dann, wenn   gilt und   für alle betrachteten   ein Term ist, kann man also „ “ eine Funktionsgleichung nennen.

Funktionsgraph

  • Die übliche o. g. Definition des Funktionsgraphen gemäß   resultiert aus dem Wunsch der Darstellung der Wertepaare   durch Punkte in einem Koordinatensystem, wobei diese Wertepaare   nicht notwendig numerischer Art sein müssen. Wenn nun aber eine Funktion formal streng als spezielle Relation definiert wird und eine Relation ja gerade eine Menge geordneter Paare ist, so erhalten wir  .
  • Konsequenz: Es gibt keinen Unterschied zwischen „Funktion“ und „Funktionsgraph“, wenn man beide so wie oben mengentheoretisch definiert. Das hat zur weiteren Konsequenz, dass der „Funktionsgraph“ bereits eine Funktion ist und man in der Tat beispielsweise eine „Parabel als quadratische Funktion“ bezeichnen kann. [4] Auch der von einem Funktionenplotter erzeugte Funktionsplot ist damit eine Funktion.

Das führt zu einer durchaus erfreulichen Weite des mit „Funktion“ bezeichneten Begriffs leitet ueber zu den vielen „Gesichtern von Funktionen“. [5] Zugleich ist anzumerken, dass die mengentheoretische Auffassung von „Funktion als rechtseindeutiger Relation“ beweistechnisch gute Möglichkeiten eröffnet.

Literatur

  • Deiser, Oliver [2010]: Einführung in die Mengenlehre. Berlin / Heidelberg: Springer (3., korrigierte Auflage; 1. Auflage 2000; 2., korrigierte und erheblich erweiterte Auflage 2004).
  • Felgner, Ulrich [2002]: Der Begriff der Funktion. In: Felix Hausdorff – Gesammelte Werke Band II, Grundzüge der Mengenlehre. New York / Berlin / Heidelberg: Springer, S. 621–633.
  • Herget, Wilfried & Malitte, Eva & Richter, Karin [2000]: Funktionen haben viele Gesichter – auch im Unterricht! In: Flade, Lothar & Herget, Wilfried (Hrsg.): Mathematik lehren und lernen nach TIMSS – Anregungen für die Sekundarschulen. Berlin: Verlag Volk und Wissen, 2000, 115–124.
  • Hischer, Horst [2012]: Grundlegende Begriffe der Mathematik: Entstehung und Entwicklung. Struktur – Funktion – Zahl. Wiesbaden: Springer Spektrum.

Anmerkungen

  1. Vgl. hierzu die ausführlichen Betrachtungen in [Hischer 2012, Kapitel 4 und 5].
  2. Auch [Deiser 2010] definiert „Funktion“ als rechtseindeutige Relation.
  3. Vgl. die Anmerkungen zur kulturhistorischen Genese des Funktionsbegriffs bezüglich Fourier und Dirichlet.
  4. Vgl. den ersten Abschnitt.
  5. Vgl. [Herget et. al. 2020].


Der Beitrag kann wie folgt zitiert werden:
Madipedia (2013): Funktion: mengentheoretische Auffassung. Version vom 18.08.2013. In: madipedia. URL: http://madipedia.de/index.php?title=Funktion:_mengentheoretische_Auffassung&oldid=12170.