Simulationen im Stochastikunterricht

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„Unter Simulation versteht man in der Wissenschaft die Nachbildung eines realen Objektes oder Vorgangs als Modell und die Nutzung dieses Modells an Stelle des Originals.“ 1

In der Stochastik werden Zufallsexperimente simuliert, wobei die Bestandteile durch geeignete einfache Zufallsgeräte (z. B. Würfel, Münze, Urne, Glücksrad, Galton- Brett) oder über Zufallszahlen abgebildet werden.2
Tietze betont in seiner Definition zusätzlich den Modellaspekt:
„Unter Simulation versteht man in der Stochastik Verfahren, mit Hilfe von geeigneten Zufallsgeneratoren eine stochastische Situation „nachzuspielen“, um so ein Modell für diese Situation zu erhalten, das dann zur weiteren Analyse und zur Prognose eingesetzt werden kann.“ 3

Maxara hebt die Modellbildung als einen unerlässlichen Bestandteil des Simulierens hervor:
„Wenn man die Realsituation durch ein passendes Modell ersetzt, anhand dessen Experimente durchgeführt werden, so spricht man von Simulation.“
„Erst die Modellierung einer stochastischen Situation macht das Durchführen eines Zufallsexperiments zu einer Simulation“.4

Biehler nennt drei Situationen, in denen stochastische Simulationen sinnvoll eingesetzt werden können: 4

  • um Theorien zu überprüfen (Theorieprüfung),
  • um Vermutungen für und Hinweise auf theoretische Ergebnisse zu gewinnen (Heuristische Funktion)
  • um Wahrscheinlichkeiten rein statistisch zu bestimmen (Schätzfunktion)

Insbesondere die Verwendung von Statistiksoftware wie Exel, SPSS und FATHOM am Computer ermöglicht einen vielversprechenden Einsatz von Simulationen. Es können auf vielfältige Arten Zufallszahlen erzeugt werden, typische Zufallsgeräte wie Würfel, Münze sowie das Ziehen aus der Urne mit und ohne Zurücklegen der Urne mit und ohne Zurücklegen lassen sich nachbilden und Zufallsexperimente können auf einfache und schnelle Weise 1000fach oder 10000fach wiederholt werden. Vorteilhaft ist zudem die die einfache grafische Darstellung der entstehenden Häufigkeitsverteilungen.5

Ziele beim Einsatz von Simulationen im Stochastikunterricht

Biehler differenziert zwei Klassen von didaktischen Anwendungen der stochastischen Simulation:
Zum einen kann die Simulation als Werkzeug zur Lösung stochastischer Problemstellungen verwendet werden. Die Simulation dient hier als Ersatz oder Kontrolle für theoretische Berechnungen. Zum zweiten ermöglicht die Verwendung von Computersimulationen einen experimentellen Umgang mit stochastischen Problemstellungen. Hierüber werden Schülerinnen und Schüler vertraut mit stochastischen Situationen und man kann das intuitive Verständnis der Schülerinnen und Schüler fördern. Weiter kann man über den experimentellen Zugang zu stochastischen Problemstellungen zentrale stochastische Begriffe wie z. B. den Erwartungswert, die Varianz oder auch den Verteilungsbegriff vorbereiten. 2

Meyfarth betont zudem das durch den Einsatz im Simulationen im Stochastikunterricht ein zweiter Zugang zum Wahrscheinlichkeitsbegriff möglich wird. Über relative Häufigkeiten in vielfach wiederholten Simulationsdurchgängen können Wahrscheinlichkeiten bestimmt und so der frequentistische Zugang gewählt werden.2 Hier zahlt sich insbesondere der Computereinsatz für das häufige Wiederholen von Zufallsexperimenten aus.

Maxara und Biehler differenzieren die erste Klasse noch nach der Art des Werkzeugeinsatzes:4

  • Simulation zur Repräsentation von Zufallsexperimenten: die Möglichkeit, Erfahrungen mit zufallsabhängigen Situationen zu sammeln und somit Grundlagen für „stochastisches Denken“ zu schaffen; Simulationen als Hilfe zum Aufbau eines konzeptuellen Verständnis stochastischer Ideen (Fokus mehr auf die eigentlichen Inhalte als auf formale Aspekte)
  • Simulation im Wechselspiel mit analytischen Methoden: Analytisch gewonnene Ergebnisse können durch Simulation überprüft werden, durch Simulation gewonnene Ergebnisse geben Anhaltspunkte für analytische Ansätze; Modellierung als ein verbindendes Element zwischen Simulation und theoretischen Methoden. Trauerstein vertritt die Hypothese, dass bei der Simulation die Modellbildung deutlicher und expliziter gemacht wird als bei einer theoretischen Lösung, da man bei der Simulation sich über Vereinfachungen und Annahmen Gedanken machen muss.
  • Simulation als Werkzeug, als Methode sui generi: Theoretisch anspruchsvolle, d. h. für den jeweiligen Lernstand mathematisch schwierig oder gar nicht zu lösende, Aufgaben können dennoch durch Simulation gelöst werden, da die Lösung mathematisch elementarer als eine analytische Lösung ist

Wolpers und Götz fassen die Gründe, die für Simulationen als festen Bestandteil des Stochastikunterrichts sprechen, wie folgt zusammen:6

  • Die Simulation ist ein wichtiges Verfahren zur Modellbildung in Theorie und Praxis
  • Die Modellkonstruktion durch Simulation vermittelt epistemologische Einsichten in die Rolle von Modellen bei der Mathematisierung von Ausschnitten der Realität, indem mit Hilfe von Simulationen Erfahrungen und Einsichten in den Zusammenhang von stochastischer Theorie und den empirischen Entsprechungen gewonnen werden können. Für die Aufhellung der Wechselbeziehung zwischen Empirie und Theorie sind insbesondere solche Probleme geeignet, deren Lösung analytisch und empirisch experimentell möglich ist.
  • Simulationen fördern Fähigkeiten im Modellbilden.
  • Simulationen sind wichtig für den Erwerb stochastischen Denkens: Dies gilt z. B. für den Erwerb und die Einschätzung zentraler probabilistischer Begriffe wie Zufall, Wahrscheinlichkeit, Erwartungswert, Signifikanzintervall usw.
  • Durch Simulationen lassen sich auch Probleme lösen, deren vollständige Lösung im Unterricht nicht möglich oder zu aufwändig wäre.
  • Simulationen verlangen planerische, ausführende und beurteilende Tätigkeiten, also Projektarbeit. Eigentätigkeit hat positive Auswirkungen auf das Lernverhalten, weil die aktive Auseinandersetzung mit den Begriffen und Verfahren der Stochastik eine bessere Einbettung von deklarativem und operativem Wissen in die kognitive Struktur ermöglicht. Insbesondere sind positive Auswirkungen auf die Veränderung falscher primärer Intuitionen und die Entwicklung angemessener Sekundärintuitionen zu erwarten.
  • Simulationen fördern die Motivation. Dies gilt besonders, wenn Probleme bearbeitet werden, deren Lösung ungewiss oder überraschend ist

Literatur

1 Horton, Graham (2003): Simulation: Das virtuelle Labor. In: Magdeburger Wissenschaftsjournal 1-2: 45-52., S. 45
2 Meyfarth, Thorsten (2008): Die Konzeption, Durchführung und Analyse eines simulationsintensiven Einstiegs in das Kurshalbjahr Stochastik der gymnasialen Oberstufe – Eine explorative Entwicklungsstudie. Dissertation, Universität Kassel
3 Tietze u.a. (2002). Didaktik der Stochastik, Band 3. Mathematikunterricht in der Sekundarstufe II. Tietze, Uwe-Peter; Klika, Manfred; Wolper, Hans (Hrsg.) Braunschweig, Vieweg, S. 129.
4 Maxara, Carmen (2008): Stochastische Simulation von Zufallsexperimenten mit Fathom – eine theoretische Werkzeuganalyse und explorative Fallstudie. Dissertation, Universität Kassel
5 Biehler, Rolf; Maxara, Carmen(2007): Integration von stochastischer Simulation in den Stochastikunterricht mit Hilfe von Werkzeugsoftware. In: Der Mathematikunterricht 53 (3): 45-62.
6 Wolpers, Hans und Götz, Stefan (2002). Didaktik der Stochastik, Band 3. Mathematikunterricht in der Sekundarstufe II. H.-P. Tietze, M. Klika und H. Wolper (Hrsg.) Braunschweig, Vieweg, S.130